Den meisten ist wahrscheinlich nicht klar, dass es einen Konflikt zwischen Datenschutz und Privatsphäre geben könnte. Deswegen erstmal die Erklärung.

In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht es so:

Artikel 7

Achtung des Privat- und Familienlebens

Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Artikel 8

Schutz personenbezogener Daten

(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.

(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.

Es sind 2 verschiedene Grundrechte, die nebeneinander stehen. Datenschutz ist kein Mittel zum Zweck, sondern ein Selbstzweck. Natürlich spielen auch andere Rechte eine mögliche Rolle bei Gesetzesvorschlägen, die diese beiden Rechte betreffen. ZB: Recht auf Sicherheit, Informationsfreiheit, Schutz geistigen Eigentums, …

Bei Vorschlägen zur “Chatkontrolle” könnte so eine Abwägung früher oder später nötig sein. Es sollen Nachrichten auf bestimmte Inhalte überprüft werden.

Die eigenen Nachrichten sind natürlich auf die eigene Person bezogene Daten, also greift das Recht auf Datenschutz. Das ist allerdings nicht unbedingt ein Problem, denn schließlich wäre die Grundlage für die Verarbeitung ja ein Gesetz. Es wäre aber in jedem Fall eine deutliche Missachtung der Kommunikation.

Eine Sache, die mit “Chatkontrolle” gemacht werden soll, ist das Aufspüren von polizeibekannten Missbrauchsbildern. Solche Bilder sind natürlich auch auf die abgebildeten Personen, das Opfer, bezogene Daten. Hier würde man also in die private Kommunikation eingreifen, um das Recht auf Datenschutz durchzusetzen.

Bei anderen heißen Eisen, wie Rachepornos oder Deepfakes, hat man denselben Konflikt. Allgemein ist Datenschutz ein Recht über Datenverarbeitung, was Speichern und Teilen einschließt, auch auf Papier. Das lässt sich eben nur durch Überwachung durchsetzen.

Früher oder später muss es zu einer Abwägung kommen. Es scheint aber nirgendwo diskutiert zu werden.

Also was meint ihr?

  • sp3ctre@feddit.org
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    4 days ago

    Ja, auf jeden Fall gibt es hier einen Konflikt von Grundrechten. Wenn die Chatkontrolle durchkommt, wird es zu 100% zum EuGH gehen. Da wird letztlich unter anderem das Grundrecht auf Privatsphäre eingeschränkt, wobei geguckt werden muss, ob diese Einschränkung

    • geeignet
    • erforderlich (es darf kein milderes Mittel geben)
    • verhältnismäßig

    ist. Ich denke die Verhältnismäßigkeit ist hier der Knackpunkt. Ich halte es nicht für verhältnismäßig, aber wenn man die EuGH-Urteile zur Vorratsdatenspeicherung anguckt, darf man auf jeden Fall zweifeln.

    PS: Meinst du im Titel nicht eher wie Datenschutz/Privatsphäre gegen Sicherheit abgewogen werden müsste?

    • General_Effort@lemmy.worldOP
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      4 days ago

      Ich denke die Verhältnismäßigkeit ist hier der Knackpunkt.

      Ja. Die Vorschläge zur “Chatkontrolle” sind atemberaubend maßlos. Das liegt sicher daran, dass die Leute, die sowas schreiben, schlicht nicht wissen, wie sowas dann bei der technisch-praktischen Umsetzung aussieht.

      Wenn es bei einer “Chatkontrolle” nur um die Durchsetzung des Datenschutzes ginge, dann würde es mit der Verhältnismäßigkeit anders aussehen.

      Meinst du im Titel nicht eher wie Datenschutz/Privatsphäre gegen Sicherheit abgewogen werden müsste?

      Nein. Das wird ja auch andauernd diskutiert. Es ist die Abwägung Datenschutz<->Privatsphäre, die so gut wie nie angesprochen wird. Es wird auch oft Datenschutz gesagt, wenn Privatsphäre gemeint ist. Diese Betonung des Datenschutzes könnte aber auch dazu führen, dass in die Privatsphäre eingegriffen wird, um Daten zu schützen.

      • sp3ctre@feddit.org
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        4 days ago

        Ok, ich verstehe. Der Opferdatenschutz wird sicherlich auch Berücksichtigung finden.

        Aber im Endeffekt steht dem ein millionenfacher Eingriff in die Unschuldsvermutung, Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung entgegen, der ohne jeden Verdacht geschieht. Diesen Weg sollte man als Rechtsstaat nicht einschlagen.

        • General_Effort@lemmy.worldOP
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          3 days ago

          In die Unschuldsvermutung bleibt selbst bei einer Hausdurchsuchung unberührt.

          Mal als Kontext, was alles selbstverständlich ist: Polizisten gehen Streife. Wer für verdächtig gehalten wird, wird überprüft. Passanten werden auch gedanklich mit zur Fahndung ausgeschriebenen verglichen. Verdachtsunabhängige Kontrollen sind möglich.

          Internationale Fluggäste werden prinzipiell durchsucht. Gepäck wird gelegentlich von Hand durchsucht.

          Die bisherigen Vorschläfe zur Chatkontrolle sind maßlos. Jetzt also rein hypothetische Überlegungen, zu einer Chatkontrolle, die nur dazu dient den Datenschutz durchzusetzen.

          Es gibt keine milderen Mittel, als Datenverarbeitung zu überwachen. Wenn die informationelle Selbstbestimmung durchgesetzt werden soll, muss nachvollzogen werden, wer, wann, wieso, welche Informationen hat und wie diese weitergegeben werden. Ich glaube, Datenschutz ist das einzige Recht in der Charta, das nicht anders durchgesetzt werden kann. Das Urheberrecht funktioniert natürlich genauso, aber die Charta garantiert nur den Schutz geistigen Eigentums und nicht das Urheberrecht, wie es in Deutschland verstanden wird.

          Ein Handy, PC, oä könnte, wenn Dateien verarbeitet werden, einen Hash an die Behörden schicken. Ein Hash könnte generiert werden, ohne dass er Informationen über den Dateiinhalt enthält. Das würde allerdings nur erlauben, bekannte, unveränderte, gesuchte Dateien zu identifizieren (zB Missbrauchsbilder). Um Deepfakes aufzuspüren, müsste man Daten über das Aussehen von gezeigten Personen übermitteln.

          Die übermittelten Daten mit einer Datenbank abzugleichen, ist nicht unbedingt anders, als ein Streifenpolizist, der gedanklich Passanten mit Fahndungsplakaten abgleicht. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Daten von den Geräten der Leute kommen würden. Das bedeutet praktische Einschränkungen (zB Akkuverbrauch). Wenn das aber nur für die Benutzung von bestimmten Anwendung verlangt wird, dann könnte man es mit den Zumutungen beim Autofahren oder Fliegen vergleichen. Man könnte regeln, dass 1zu1 Kommunikation geheim bleibt, aber wo es um ganze Chatgruppen oder Social Media geht, muss die Sicherheitsuntersuchung sein.

          Natürlich wäre sowas recht leicht zu umgehen. Man kennt das von der digitalen Rechteverwaltung (DRM) im Urheberrecht. Auch beim Datenschutz geht es, im Wortsinn, um Rechteverwaltung. Inhalte/Daten/Informationen sollen nur von berechtigten Personen auf erlaubte Art und Weise benutzt werden.

          Es ist schon so, dass wir extra zahlen, damit DRM einschränkt, was wir mit Daten machen können. Die Umgehung ist schon längst strafbar. Wenn man den Einbau von Datenschutz-DRM verpflichtend macht, dann glaube ich nicht, dass das ein rechtliches Problem wäre.

          In der Presseerklärung zu so einem Gesetz würde es wohl heißen: Die Tech-Konzerne müssen endlich wirksamen Datenschutz ermöglichen. Wenn das dann auch fürs Urheberrecht benutzt werden kann, wären die Medien sicher begeistert. Ich denke sowas wird irgendwann kommen und gefeiert werden.

          • sp3ctre@feddit.org
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            3 days ago

            Wenn eine Hausdurchsuchung gemacht wird liegt aber i.d.R. zumindest ein Anfangsverdacht vor. Bei der Chatkontrolle wird ja mit Kanonen auf Spatzen geschossen und gleich alle Chats sollen ohne jeglichen Verdacht gescannt werden.

            Ich denke man könnte höchstens über gehashte Bilder nachdenken, die bekannten Missbrauchsabbildungen gleichen. Aber selbst die lassen sich ja wohl derart abändern, sodass es den Systemen schwerer fällt sie zu erkennen.

            Es ist und bleibt alles Käse.

            • General_Effort@lemmy.worldOP
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              3 days ago

              Ja, eine Hausdurchsuchung muss vom Gericht geprüft werden. Das ist aber auch eine ziemlich heftige Maßnahme. Das Gepäck am Flughafen ausgiebig durchsuchen, ist Routine.

              Die Bevölkerung will (glaub ich), dass was gegen Deepfakes gemacht wird. Datenschutz allgemein soll mehr durchgesetzt werden. Was machste?