Der Text zieht einen längeren Bogen von Großbrittanien über Weimar bis heute in Deutschland. Ich empfehle den ganzen Text zu lesen. Hier kurz die Kernthese:

Volksfront gegen wen oder gegen was?

In der deutschen Öffentlichkeit wird Faschismus normalerweise als eine Bewegung verstanden, die das bürgerliche System stürzen will. Viel plausibler aber ist, dass der Faschismus darauf abzielt, die bestehenden Verhältnisse zu vertiefen: Er will noch rassistischer, sozialdarwinistischer, antifeministischer und militaristischer sein.

Was aber sind dann die zentralen Inhalte seines Projekts? Ich würde behaupten, dass es dem Faschismus heute vor allem um folgende Anliegen geht: Er will erstens den Ausbau der Grenzen, die als Instrument verstanden werden, um Räume differenziert ausbeuten und die globalen Massen der Besitzlosen spalten zu können. Mit Grenzpolitik lässt sich festlegen, wer wie ausgebeutet werden kann und wer wo von Rechten ausgeschlossen bleibt.

Zweitens will der Faschismus die bestehende Geschlechterordnung vertiefen, die nicht zuletzt die (unentlohnte) Aneignung weiblicher Arbeit ermöglicht. Das erklärt auch, warum die extreme Rechte mit so großem Hass gegen trans Personen mobilisiert, denn letztere stellen die binäre Geschlechterordnung infrage.

Drittens geht es dem Faschismus darum, soziale Widersprüche durch die Anrufung der Nation zu verschleiern. Wer die »gemeinsamen« Interessen von oben und unten betont, muss über die Ungleichheit zwischen oben und unten nicht sprechen. Damit einher geht die Überhöhung der eigenen Ethnie oder Kultur, was eine Art »psychologischen Lohn« für einen Teil der Bevölkerung darstellt (wie es der Soziologe W.E.B. Du Bois ausgedrückt hat).

Viertens will der Faschismus dafür sorgen, dass die Interessen der Nationaleliten mit militärischen Mitteln gesichert werden können, und propagiert deshalb die militärische Aufrüstung. Und fünftens schließlich strebt er den Ausbau der Polizei- und Sicherheitsapparate bei einer gleichzeitigen Schwächung sozialer Sicherungssysteme an, was die Abolitionistin Ruth Wilson Gilmore als einen »anti-state statism« (antistaatlichen Staatsausbau) bezeichnet hat.

»Gemeinsam gegen rechts« klingt immer richtig. Doch man muss überlegen, was im Mittelpunkt stehen sollte: die Mobilisierung gegen rechtsextreme Parteien oder die Mobilisierung gegen jene Prozesse der Entmenschlichung, die ihren Ursprung im Kapitalismus haben.

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    22 days ago

    Mobilisierung gegen rechtsextreme Parteien oder die Mobilisierung gegen jene Prozesse der Entmenschlichung, die ihren Ursprung im Kapitalismus haben.

    Die AfD ist eine neoliberale Partei, die dem Kapitalismus dient. Das Rechtsextreme ist Mittel zum Zweck, um die Arbeiter zu spalten.

    Statt gegen andere Arbeiter zu kämpfen sollte die linke Opposition sich auf eine Zukunft einigen und damit die rechten Arbeiter für sich gewinnen.

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    22 days ago

    In der deutschen Öffentlichkeit wird Faschismus normalerweise als eine Bewegung verstanden, die das bürgerliche System stürzen will. Viel plausibler aber ist, dass der Faschismus darauf abzielt, die bestehenden Verhältnisse zu vertiefen

    Dann wäre es einer Partei wie der NPD aber nicht so schwergefallen, den Anschluss ins bürgerliche Spektrum zu schaffen. Man muss jedoch feststellen, dass der Erfolg der AfD gerade darauf beruht, die unverblümte politische Radikalität einer NPD, die beim sprichwörtlichen “kleinen Mann” greift, mit einem gerade genug “seriös-gemäßigten” (das tut weh beim schreiben) Auftritt zu verbinden, um eben auch für das “Bürgertum” wählbar zu sein. Würden sie stattdessen am gleichen Strang ziehen wie diese Bürgerlichen, gäbe es doch keinen Grund für dieses ideologische Versteckspiel.

    Aber der Autor schränkt das im weiteren Verlauf ja auch etwas ein:

    Das ist zugegebenermaßen nur eine – funktionalistische – Erklärung von Faschismus.

    …um dann wenig später diese Annahme jedoch trotzdem wieder als festes Fundament für seine Ableitung herzunehmen:

    Wenn es dem Faschismus um die Vertiefung bestehender Machtverhältnisse geht, dann ist es vermutlich keine besonders schlaue Idee, gemeinsam mit bürgerlichen Verbündeten diese Verhältnisse zu stabilisieren.

    Wie gesagt: dahinter würde ich ein Fragezeichen setzen. Zum einen führt Zelik als Ziel des Faschismus an, die Unterordnung der Frau zu vertiefen, um sich ihrer (unentlohnten) Arbeit zu ermächtigen. Tatsächlich stieg nach Machtergreifung der Nazis bis 1939 der Anteil erwerbstätiger Frauen von knapp 11,5 auf knapp 14,5 Mio. Im Krieg natürlich dann noch weiter, weil man trotz ‘Muttermythos’ schlicht die Arbeitskraft brauchte. Zum anderen führt Zelik an, dass der Faschismus den Abbau sozialer Sicherungssysteme verfolgt. Ich sehe jedoch schon einen Unterschied zwischen einer neoliberalen Politik nach Handschrift Christian Lindner (schwacher Staat, Verantwortung des Individuums) und der des Dritten Reichs (starker Staat, “Volksgemeinschaft”). Ich kann gut verstehen, dass Zelik sowohl das eine als auch das andere ablehnt, es sind für mich trotzdem zwei unterschiedliche Ansätze.

    Grundsätzlich denke ich, dass die eigentliche Kernfrage hier für ihn eine andere ist, was auch seine angeführten Beispiele Labour und Padmore zeigen: wie halten mit den Prinzipien? Inwieweit kompromissbereit sein, inwieweit dogmatisch bleiben?

    Da bleibt für mich jedoch ein nicht unerheblicher Aspekt auf der Strecke: wir haben in Deutschland zwar eine Mehrheit gegen die AfD - wir haben aber keine Mehrheit gegen “das System”. Ich kann gut verstehen, dass jemand wie Zelik diesen Kampf nicht aufgeben möchte und in Anbetracht der Relevanz linker Akteure in dieser Situation daraus gern politisches Kapital schlagen würde, aber wie er treffend beim Corbyn-Beispiel aufzeigt: damit hat Corbyn vor allem das Ende der Labour-Regierung besiegelt. Bei uns zeigen die Wahlergebnisse, dass der Wähler nicht nur nicht gegen das System kämpfen will, sondern auch noch mehrheitlich rechts der Mitte steht. Vor dem Hintergrund soll jeder die Frage nach Kompromiss oder Dogma selber entscheiden.

    • Saleh@feddit.orgOP
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      22 days ago

      Dann wäre es einer Partei wie der NPD aber nicht so schwergefallen, den Anschluss ins bürgerliche Spektrum zu schaffen. Man muss jedoch feststellen, dass der Erfolg der AfD gerade darauf beruht, die unverblümte politische Radikalität einer NPD, die beim sprichwörtlichen “kleinen Mann” greift, mit einem gerade genug “seriös-gemäßigten” (das tut weh beim schreiben) Auftritt zu verbinden, um eben auch für das “Bürgertum” wählbar zu sein.

      Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass viele AfDler ehemalige “Kader” aus anderen rechtsextremen, neonazistischen Organisationen waren. Die AfDler haben die Bomberjacke gegen das Jacket eingetauscht. Es sind aber die selben Faschisten. Sie haben einfach nur dazugelernt.

      Ich kann gut verstehen, dass jemand wie Zelik diesen Kampf nicht aufgeben möchte und in Anbetracht der Relevanz linker Akteure in dieser Situation daraus gern politisches Kapital schlagen würde, aber wie er treffend beim Corbyn-Beispiel aufzeigt: damit hat Corbyn vor allem das Ende der Labour-Regierung besiegelt. Bei uns zeigen die Wahlergebnisse, dass der Wähler nicht nur nicht gegen das System kämpfen will, sondern auch noch mehrheitlich rechts der Mitte steht. Vor dem Hintergrund soll jeder die Frage nach Kompromiss oder Dogma selber entscheiden.

      Ich denke, dass wir hier auch berücksichtigen müssen, dass die Bevölkerung nicht grundsätzlich rechts der Mitte “steht”. Sie ist dahin gerückt. Und an diesem Ruck haben neben der AfD und komplizenhaften bis willfährig neutralen Medien auch wesentlich die “Parteien der Mitte” ihren Anteil, indem sie darauf eingestiegen und selbst massiv nach rechts gerückt sind.

      Die Grünen hatten 2020/2021 tw. Umfrageergebnisse in den 30+%, weil Klima und Umwelt prominente Themen waren. Die Linke hat 2025 eins ihrer stärksten Ergebnisse geholt, nachdem die Partei bereits todgesagt war. Warum? Weil sie ihre Themen klar gesetzt und vertreten hat. Wenn die SPD und Grünen wirtschaftlich nur ein “weiter so” predigen und meinen man müsse “law and order” und “Abschieben im großen Stil”, dann ist es viel einfacher für die AfD, die selben Narrative in “hart” zu verbreiten.

      • Quittenbrot@feddit.org
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        22 days ago

        Es sind aber die selben Faschisten. Sie haben einfach nur dazugelernt.

        Absolut! Darum schreibe ich auch ‘Versteckspiel’. Aber wenn Faschismus tatsächlich letztlich nur die Machtverhältnisse des Bürgertums vertiefen wollte, bräuchte es dieses Versteckspiel nicht/wäre er auch unverblümt (NPD) erfolgreich gewesen.

        Ich denke, dass wir hier auch berücksichtigen müssen, dass die Bevölkerung nicht grundsätzlich rechts der Mitte “steht”. Sie ist dahin gerückt.

        Die Linke muss sich dennoch fragen, warum rechts der Mitte Mehrheiten liegen, sie selber aber trotz des Höhenflugs der letzten Wahl letztlich nur auf 10% kommen.

        Lamentieren, dass das an einer, wie du es nennst, komplizenhaften Zusammenrottung der anderen Parteien und Medien liegt, wäre mir zu einfach. Die Linke hat traditionell ein extrem starkes Forum im Osten, war dort flächendeckend Regierungspartei und in entsprechenden Machtpositionen vertreten, medial präsent, etc. Sie haben ihr Angebot in meinen Augen durchaus eindeutig dem Wähler klarmachen können und sind trotzdem abgestürzt. Ob das jetzt daran liegt, dass die Wähler das Angebot bzw Teile davon nicht mehr attraktiv finden, es einen Vertrauensverlust gab, o.ä. weiß ich nicht. Jedoch muss man einfach feststellen, dass der Appetit in Deutschland auf einen Systemwechsel von Links, der auch bei Zelik durch die Zeilen scheint, einfach nicht gegeben ist und man sich als linke Partei daher schon entscheiden muss, ob man in der jetzigen Situation an der Schwelle zur AfD-Herrschaft weiter mit ein paar Handvoll Hardlinern Dogma fahren will, oder ob man durch Kompromisse anschlussfähiger und damit wählbarer werden möchte.

        • Saleh@feddit.orgOP
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          22 days ago

          Absolut! Darum schreibe ich auch ‘Versteckspiel’. Aber wenn Faschismus tatsächlich letztlich nur die Machtverhältnisse des Bürgertums vertiefen wollte, bräuchte es dieses Versteckspiel nicht/wäre er auch unverblümt (NPD) erfolgreich gewesen

          Selbstbetrug und Image-Wahrung sind wesentliche Aspekte im “Bürgertum”. Die NPD war nicht deswegen nicht erfolgreich, weil ihre Positionen nicht passten, sondern weil sie “hässlich” war/ist.

          Jedoch muss man einfach feststellen, dass der Appetit in Deutschland auf einen Systemwechsel von Links, der auch bei Zelik durch die Zeilen scheint, einfach nicht gegeben ist und man sich als linke Partei daher schon entscheiden muss, ob man in der jetzigen Situation an der Schwelle zur AfD-Herrschaft weiter mit ein paar Handvoll Hardlinern Dogma fahren will, oder ob man durch Kompromisse anschlussfähiger und damit wählbarer werden möchte.

          Grundsätzlich stimme ich dir zu, dass die Partei ihre Positionen stets kritisch hinterfragen muss. Allerdings sind die “wählbarere Linke” mal die SPD und Grünen gewesen. Davon ist innerhalb der Parteien wenig übrig geblieben. Was wir brauchen ist ein Linksruck, um die Mitte zurückzuverschieben. Dafür braucht es eine Linkspartei mit klarer Haltung und den Willen bei SPD und Grünen, wieder “Linker” oder zumindest “Mittiger” zu werden.

          • Quittenbrot@feddit.org
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            21 days ago

            Die NPD war nicht deswegen nicht erfolgreich, weil ihre Positionen nicht passten, sondern weil sie “hässlich” war/ist.

            ‘Deutschland den Deutschen!’ ist kein Slogan des Bürgertums. Das sieht man zb auch sehr schön an der eklatanten Diskrepanz zwischen dem, wie eine Frau Weidel ihr bürgerliches Privatleben gestaltet und dem, was sie als Parteifigur in die Mikrofone krakeelt.

            Was wir brauchen ist ein Linksruck, um die Mitte zurückzuverschieben. Dafür braucht es eine Linkspartei mit klarer Haltung

            Ist das nicht das, was die Linkspartei* seit 1990 in Gesamtdeutschland anbietet? Du schreibst oben, dass Selbstbetrug ein wesentlicher Aspekt des Bürgertums ist. Aber mal ganz ehrlich gefragt: wieso soll jetzt etwas funktionieren, was die letzten 35 Jahre nicht funktioniert hat?

            Als die SPD Kohl von der Macht ablöste, war das mit dem ‘Genossen der Bosse’ Schröder. Als die Grünen auf dem Höhepunkt ihrer Popularität in die Ampel zogen, war das unter den Realos Habeck und Baerbock.

            Und auch bei den Linken läuft das nicht anders: der politisch bisher erfolgreichste Linke, als Ministerpräsident Thüringens, war der gemäßigte Ramelow.

            Die Machtoption für eine dogmatische Linke, insbesondere mit dem Systemkampfaspekt wie bei Zelik, kann ich einfach nicht erkennen.

            Klar kann man sagen, dass einem ein Habeck nicht links genug ist. Aber jetzt gerade hätte ich extrem gerne lieber wieder einen Wirtschaftsminister Habeck als eine Wirtschaftsministerin Reiche, die ihren Lobbyeinfluss nicht mal mehr zu verstecken versucht. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach…

            *bzw ihre Vorgänger